Spiel und Kennerspiel des Jahres 2016: Der Playstation-Effekt fällt bis auf Weiteres aus

Am liebsten schreibe ich schon am Wochenende vor der Verleihung über Spiel und Kennerspiel des Jahres, so kann ich alle sechs nominierten Spiele vorstellen und zugleich einen eigenen Schwerpunkt setzen. Wie hier in der Schwäbischen Zeitung lag dieser in diesem Jahr auf Pandemic Legacy und T.I.M.E. Stories, den beiden bahnbrechenden story-driven games, die zum Kennerspiel nominiert waren.

Pandemic Legacy dürfte das Prinzip des sich verändernden Spiels mit partieübergreifender Geschichte endgültig etabliert haben (zumindest insofern, dass in der absehbaren Zeit zwei, drei Legacy-Spiele jährlich erscheinen dürften). Mir haben unsere 18 Partien Pandemic Legacy die beste Spielerfahrung beschert, an die ich mich erinnern kann. Vielleicht waren die ersten Catan-Runden genauso gut, das weiß ich leider nicht mehr, etwas Vergleichbares hat es aber seit 1995 nicht mehr gegeben. Wir haben übrigens mit Nachbarn gespielt, die wir zufällig im Aufzug mit einem Pandemie-Spiel unterm Arm gesehen und sofort angesprochen haben. Deren Spielerfahrung beschränkte sich zum Zeitpunkt der Januar-Partie auf fünf Mal Pandemie, Zug um Zug und Euchre. Das ist ganz knapp das traditionelle SdJ-Zielpublikum, aber intelligent genug, um auch ein immer komplexer werdendes Legacy-Spiel zu durchblicken, sind sie trotzdem. Die geniale Spielerfahrung hat sich übrigens schon in der ersten Runde eingestellt. Dass Pandemic Legacy zu Ende gespielt werden müsse, um voll genossen zu werden, stimmt so auf keinen Fall. Selbst wenn unsere Gruppe im April oder Mai auseinandergebrochen wäre, hätten wir herausragende Spieleabende erlebt.

Die Legacy-Erfahrung war für die Millennial-Nachbarn so eine Art „Playstation-Effekt“, wie Guido das genannt hat. Die Nachbarn wissen jetzt, dass Spiele coole und erwachsenengerechte Unterhaltung bieten können und kein Kinderquatsch sind. Es ist wirklich schade, dass die Jury es versäumt hat, den Playstation-Effekt „offiziell“ zu machen, zumal mit Codenames ja ein kongenialer Partner bereit gestanden hätte: ein schnelles, intellektuelles, lustiges Kommunikationsspiel, das in reinen Erwachsenenrunden perfekt funktioniert. Codenames und Pandemic Legacy wären ein Dream Team gewesen. Auch mit Blick auf die nächste Essen-Liste ist nicht anzunehmen, dass der Jury demnächst noch einmal so eine Großchance vor die Füße fällt.

(Das Fass „Förderung des Kulturguts Spiel in der Gesellschaft“ will ich nicht auch noch aufmachen. Dazu könnte man aber tatsächlich noch einiges schreiben.)

Die Ironie an der Diskussion ist natürlich, dass Isle of Skye, das frisch gekürte Kennerspiel des Jahres 2016, aus dem Blickfeld gerät, obwohl es ein wirklich überzeugendes Spiel ist, das bei uns auch langfristig in der Rotation landen dürfte. Ich fand’s von Anfang an genial, habe es zu Weihnachten rauf und runter empfohlen und finde es noch immer sehr, sehr gut. Es ist halt nicht so innovativ wie Pandemic Legacy und demnach in diesem speziellen Jahr meiner Meinung nach der falsche Sieger. T.I.M.E. Stories, das ich mit einer weitaus spielerfahreneren Gruppe spiele, die schon ein paar Mal an die Grenzen ihrer Konzentrationsfähigkeit gestoßen ist, könnte tatsächlich zu kompliziert sein, zu viele Informationen beinhalten.

Ohne Auszeichnung dürfte es für potenziell interessierte Kennerspieler schwer werden, über Pandemic Legacy (und T.I.M.E. Stories) zu stolpern. Man kann sich ja mal via Google News die Artikel ansehen, die nach der Verleihung erschienen sind. Die Kennerspiel-Nominierten werden in kaum einem erwähnt.

Die auf der Empfehlungsliste stehenden Spiele fallen erst recht unter den Tisch. Umso schöner finde ich es deshalb, dass ze.tt einen Artikel von mir über Blood Rage (of all games!) veröffentlicht hat. Es dürfte die einzige Rezension zu dem Spiel sein mit gegenderter Sprache. Vielleicht hat ja zumindest das bei einigen Leser*innen für einen flüchtigen Playstation-Moment gesorgt.

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